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8. „Ich will nicht betteln, aber dürfen muss ich.“ Das Recht, andere um Hilfe zu bitten

In Städten treffen Reiche, Arme und Menschen aus der Mittelschicht aufeinander. Unterschiede machen Urbanität aus und der öffentliche Raum soll allen gleichermaßen zur Verfügung stehen. Das erzeugt aber auch Spannungen: An Orten wie der Mariahilfer Straße oder dem Alten AKH, die die meisten von uns zur Erholung oder zum Konsumieren nutzen, werden wir mit den persönlichen Problemen von Menschen in Notsituationen konfrontiert. Bettler und Bettlerinnen bitten uns um Hilfe. Diese Spannungen gilt es in Städten auszuhalten.

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Ein Grundrecht wird mit Verboten eingeschränkt

Der Verfassungsgerichtshof sieht Betteln als Grundrecht, das allen Menschen zusteht. Die Politik geht mit dem Thema Betteln aber derzeit oft anders um. Im Wiener Landessicherheitsgesetz wurden immer mehr Formen des Bettelns verboten: das aufdringliche, aggressive, organisierte und gewerbsmäßige Betteln, sowie das Betteln mit Kindern ist bereits verboten. Problematisch dabei ist, dass diese Begriffe nicht eindeutig definiert sind. In der Praxis werden sie dann oft sehr weit ausgelegt. So kann schon der Blickkontakt zwischen Bettlern und Bettlerinnen reichen, um wegen organisierten Bettelns angezeigt zu werden.

Die „Bettelmafia“ und andere Probleme

Vorgeblich wurden die Bettelverbote eingeführt, um Ausbeutung und Menschenhandel zu verhindern. Ob und wie weit Ausbeutung und Menschenhandel durch eine  sogenannte Bettelmafia verbreitet ist, kann nicht gesagt werden. Bettelverbote sind auch kein geeignetes Mittel, um gegen etwaige Fälle vorzugehen, denn die Bettelverbote treffen nicht die MenschenhändlerInnen, sondern ihre Opfer – die Bettler und Bettlerinnen. Gesetze, die Menschenhandel und Nötigung verbieten, gibt es ohnehin bereits im Strafgesetzbuch. Der Diskurs rund um die Bettelmafia trägt aber wesentlich zur Kriminalisierung von bettelnden Menschen bei. Dabei kann Betteln auch als Entscheidung gesehen werden, lieber andere Menschen um Hilfe zu bitten, anstatt kriminell zu werden.

Probleme für bettelnde Menschen gibt es dennoch viele. Vor allem Menschen, die aus dem Ausland nach Wien kommen, sind in einer besonders schwierigen Situation. Sprachprobleme, eine leistbare Unterkunft zu finden oder auch das unterschiedliche Preisniveau sind nur einige der Schwierigkeiten.

Armut wird unsichtbar

Nachdem die Gesetzgebung bettelnden Menschen keine Hilfestellung bietet, liegt der Schluss nahe, dass Armut aus dem öffentlichen Raum verdrängt werden soll. Ein weiteres Indiz dafür ist, dass sogar die Straßenverkehrsordnung selektiv gegen Bettler und Bettlerinnen eingesetzt wird. Bettelnde Menschen werden also nicht nur aufgrund der Bettelverbote belangt, sondern oft auch wegen unbegründetem Stehen oder Behinderung des Fußgängerverkehrs.

Muss ich allen etwas geben?

Zu spenden ist nur eine der vielen Möglichkeiten. Auch freundlich zu sein und Armut einfach auszuhalten oder in Kontakt zu treten kann Bettlern und Bettlerinnen bereits das Leben erleichtern. Wird man Zeuge oder Zeugin einer Wegweisung durch die Polizei, darf man in Österreich dabei bleiben und der bettelnden Person Hilfestellung anbieten. Auch seinen Unmut öffentlich zu machen, kann helfen. So hat der Schriftsteller Martin Auer eine Bettelaktion auf der Mariahilfer Straße organisiert, um auf ungerechtfertigte Behandlung von Bettlern und Bettlerinnen aufmerksam zu machen.

Gestaltung: Julia Hofbauer

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