Oberster Gerichtshof

16. „Ein Türke und ein Kroate verklagen die Republik.“ Über das Kandidaturverbot bei Betriebsrats- und Arbeiterkammerwahlen

Caroline Grandperret arbeitet 1990 in Wien als Lehrerin in einem Sprachinstitut. Als sie mit den dort herrschenden Arbeitsbedingungen zunehmend unzufrieden wird, rät man ihr bei der Gewerkschaft, einen Betriebsrat zu gründen. Das sei die einzige Möglichkeit, etwas zu bewegen. Ein Jahr lang arbeitet Grandperret daran, erstmals Betriebsratswahlen in dem Unternehmen zu organisieren. Noch bevor es zu den Wahlen kommen kann, wird sie gekündigt. Was Grandperret zu diesem Zeitpunkt nicht weiß: als französische Staatsbürgerin hätte sie als Betriebsrätin gar nicht kandidieren dürfen.

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Die zuständige Gewerkschaft hatte Grandperret zu etwas geraten, was in Österreich zu dieser Zeit rechtlich nicht möglich war. ArbeitnehmerInnen ohne österreichische Staatsbürgerschaft durften bei Betriebsrats- und Arbeiterkammerwahlen zwar wählen, aber nicht gewählt werden. Ihre beruflichen und betrieblichen Interessen selbst zu vertreten, war MigrantInnen in Österreich gesetzlich verboten.

Die Gründung eines Betriebsrats in dem Sprachinstitut scheiterte letztlich. Die Mehrheit der Belegschaft hatte keine österreichische Staatsbürgerschaft, die wenigen österreichischen KollegInnen waren nicht interessiert. Kein Einzelfall: In vielen Unternehmen, beispielsweise im Textil- und Gastgewerbe und in der Baubranche, konnten keine Betriebsräte gewählt werden, weil es schlichtweg an MitarbeiterInnen fehlte, die kandidieren durften.

Grandperret engagierte sich fortan innerhalb der Arbeiterkammer. Für sie führte der Weg zum passiven Betriebsrats- und AK-Wahlrecht über die AK selbst. Der Beitritt Österreichs zum Europäischen Wirtschaftsraum machte es möglich, dass ab 1994 neben österreichischen ArbeitnehmerInnen auch Unions- und EWR-BürgerInnen gewählt werden konnten. Für Drittstaatsangehörige außerhalb des EWR blieb das Kandidaturverbot aber aufrecht. Bei der AK-Wahl 1994 in Wien erreicht die Liste „Demokratie für Alle“ drei Mandate. Caroline Grandperret und ihre KollegInnen sind die ersten ArbeiterkammerrätInnen ohne österreichische Staatsbürgerschaft.

Im selben Jahr, in dem Grandperret und ihre KollegInnen in Wien in die AK gewählt werden, finden in Linz beim „Verein zur Betreuung der AusländerInnen in Oberösterreich“ (heute: „Migrare“) Betriebsratswahlen statt. Die beiden Angestellten Mümtaz Karakurt und Vladimir Polak kandidieren. Polak ist gebürtiger Kroate, mittlerweile aber Österreicher, Karakurt ist Türke. Auch er darf nach österreichischem Recht eigentlich nicht als Betriebsrat kandidieren. Die beiden haben einen Plan.

Mümtaz Karakurt wird zum Betriebsrat gewählt. Und Vladimir Polak geht vor Gericht. Er will, dass seinem Freund und Arbeitskollegen das Mandat gerichtlich wieder aberkannt wird. Dieser sei kein Österreicher und hätte daher gar nicht kandidieren dürfen. Das Ziel der beiden: Das Gericht soll feststellen, dass das Kandidaturverbot für Nicht-ÖsterreicherInnen unrechtsmäßig ist. Die Klage soll das Gericht dazu zwingen, sich mit der Sache auseinanderzusetzen. Das haben nicht alle verstanden, Polak wird oft ungläubig darauf angesprochen, wie er nur seinen Arbeitskollegen klagen kann. Und viele hatten auch falsche Erklärungen parat: „Die haben das sofort ethnisiert: ‚Ein Kroate und ein Türke, na typisch! Die müssen wieder gegeneinander arbeiten!'“, so Karakurt.

Karakurt und Polak fechten sich durch die Instanzen. Spätestens beim Obersten Gerichtshof (OGH), so hatten die beiden gehofft, werden sie Recht bekommen. Doch auch der OGH bestätigt die Rechtslage. Einen Verstoß gegen die Menschenrechte sieht er nicht, die Anrufung des Verfassungsgerichtshofes verweigert er. Innerstaatlich ist der Instanzenzug damit erschöpft. Daraufhin klagt Karakurt die Republik beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die Gewerkschaft zögert bei alledem zuerst. „Wie soll man eine Klage gegen die Republik finanzieren?“, lautet ihre Begründung. Karakurt ärgert sich noch heute: „Das ist meine Gewerkschaft, ich bin dort Mitglied, nicht die Republik“. Schließlich gewährt sie den Rechtsschutz doch und unterstützt den Prozess.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte weist die Klage aus formalen Gründen ab. Der Ausschuss für Menschenrechte der Vereinten Nationen ist es schließlich, der eine Diskriminierung und eine Verletzung von internationalem Recht durch Österreich feststellt. Die Entscheidung ist aber rechtlich nicht bindend und bleibt folgenlos. Das entscheidende Urteil wird erst 2004 gefällt als die Europäische Kommission Österreich vor dem Europäischen Gerichtshof klagt und Recht bekommt. 2005 ist es ausgerechnet die schwarz-blaue Regierung unter Wolfgang Schüssel, die das passive Wahlrecht für alle ArbeitnehmerInnen bei Arbeiterkammer- und Betriebsratswahlen im Parlament beschließen muss.

Österreich war das einzige Land im Europäischen Wirtschaftsraum, in dem betriebliche Mitbestimmungsrechte auf Basis der Staatsangehörigkeit verweigert wurden. Und Caroline Grandperret und Mümtaz Karakurt haben immer wieder dieselben abenteuerlichen Gründe gehört, warum das auch so bleiben sollte. „Ethnische Konflikte“ und „Religionskriege“ würden in die Betriebe verlagert werden, hieß es. Gewählte MigrantInnen würden nur „ihre ethnische Gruppen“ vertreten. Und letztlich käme das alles doch nur der FPÖ zugute. Tatsächlich vermuten die beiden langjährigen AktivistInnen aber ganz andere Gründe hinter dem starrsinnigen Festhalten am Kandidaturverbot für Nicht-ÖsterreicherInnen. „Jene Betriebsräte, die teilweise freigestellt waren, haben um ihre Position Angst gehabt“, so Karakurt. Und Grandperret ergänzt: „Die haben ihren Platz an der Sonne gehabt. Das war de facto eine Bedrohung für sie.“

Gestaltung: Gerd Valchars

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